Wir haben Cavarodes' 2019er Jahrgang mit Sylvain Siproche von Drunk by Nature verkostet

Weil Naturwein auch für Geselligkeit und Teilen steht und eine Flasche noch viel besser schmeckt, wenn sie in netter Gesellschaft getrunken wird, laden wir regelmäßig Freunde des Weins zum gemeinsamen Probieren der neuen Jahrgänge ein. Eindrücke werden geteilt und Verkostungsnotizen werden vielseitiger. Bei der Gelegenheit zeichnet sich ein Porträt der Gäste durch ein heiteres Interview und bringt Einblicke von und über Weinfans wie uns, Profis oder Amateure. Unser vierter Gast ist Sylvain Siproche, einer der passioniertesten Vermittler von lebendigen Weinen in Berlin. Der rege Austausch von Wissen über die Eigenheiten von Naturwein liegt im am Herzen. Überzeugen sie sich selbst bei einem Besuch des Naturwein Shops der Urgestein-Weinhandlung Suff in der Markthalle Neun, den er betreut. Wir haben gemeinsam den 2019er Jahrgang von Cavarodes probiert. Prost!
Return: Über welche Umwege bist Du zum Wein gekommen?
Also dann, ich bin Wahlberliner und so eine Art Naturwein Guru. Dazu kam ich über eine andere Laufbahn, aus dem Theater, ich habe Produktionsleitung gelernt und war auch Übersetzer. Aber davor habe ich mich für Berlin entschieden, erst danach für den Beruf. Vor 25 Jahren hat es mich zum ersten Mal in die Großstadt gezogen, ich hatte keinen Plan, Hauptsache Berlin, da war ich neunzehn. Damals habe ich allerdings Bier getrunken, in der Zeit, als ich am Deutschen Theater Regieassistenz gemacht habe und Produktionen und Organisation für freie Tanz- und Theatergruppen, im Zirkus. Ich habe meinen Beruf geliebt, aber weniger das Milieu, das sehr unter egomanischen und manipulativen Hierarchien leidet.
Nebenbei habe ich Stadtführungen organisiert, also ein Programm für Stadtführungen entwickelt, denn das hat mir viel Spaß gemacht, den Leuten etwas beizubringen, zu erklären und zu erzählen. Das Vermitteln hat mir so gut gefallen, dass ich dachte, ich höre auf mit dem Theater, ich will etwas neues Lernen, im Bereich des Vermittelns, allerdings nicht Lehrer, denn das war schon mein Vater. Eigentlich wollte ich Koch werden, als ich klein war, habe ich mich beim Karneval als Koch verkleidet, oder wollte ständig meiner Mutter in der Küche helfen, alles probieren und schmecken. Bis ich dann mit dreizehn Jahren Deutschland entdeckt habe. Dann wollte ich lieber Übersetzer werden und habe mich mit Sprachen beschäftigt. Als ich mich 2014 erneut mit meiner beruflichen Zukunft auseinandersetzen musste, fiel mir der Geschmack wieder ein. Das in Verbindung mit dem Vermitteln, überlegte ich, was lässt sich daraus machen? Zu dem Zeitpunkt war ich in Nantes und dachte an ein Croque-Monsieur-Fahrrad, um bei den Konzerten und Unis vorbeizufahren und witzige Croque Monsieur Menüs zu verkaufen.
Aber dann passierte etwas, am 28. November 2013, ein besonderer Abend. Es war der Geburtstag von meinem besten Freund Vincent, den ich schon seit bald dreißig Jahren kenne und der seit Ewigkeiten Naturwein trinkt. Er war mit Philippe Jambon und Jean-Pierre Robinot befreundet, weil er so eine Leidenschaft für das Thema entwickelt hatte. Wenn ich ihn besucht habe, bei seiner Familie in den Alpen, stand immer Jean-Yves Péron auf dem Tisch. Ich hab das zwar getrunken, aber den Wein damals nicht besonders genossen. Da war ich noch auf Bier oder Rioja mit viel Holz unterwegs. Vincent hat jedoch nicht locker gelassen. Wenn wir uns in Paris trafen, gab es immer tollen Wein, in einem schönen Restaurant. Trotzdem fehlten mir die Emotionen, es war einfach ein Getränk. An Vincent's Geburtstag, also an dem besagten Abend im Jahr 2013, da lud er mich zu La Rallonge im 18ème Arrondissement ein. Das war ein langer Tresen, hinter dem Geoffroy Maillard Tapas kochte, spanische Produkte französisch verarbeitet. Wir hatten schon schöne Flaschen getrunken, da sagte der Chef, "die nächste geht auf mich." Und ich hatte so einen Flash wie noch nie in meinem Leben bezüglich des Weins, also ich konnte mich nicht erinnern, beim Trinken jemals so etwas erlebt zu haben, beim Essen eventuell, nicht aber beim Trinken. Es war spät am Abend, wir hatten ordentlich gefeiert und ich bin ein bisschen emotional geworden, und meinte "Ich will den Typ, der so etwas herstellt, kennenlernen!" Das war eine Flasche von Ivo Ferreira, L'Escarpolette, sein Blanc, so ein Maischegärungsgrenache. Total verrückt und komplex, mit Currynoten und eigentlich allem, was ich nie in einem Wein vermutet hätte. Wir haben gefragt, wo genau der Wein herkommt, Montpeyroux, das ist in der Nähe von Montpellier, dort wo Vincent wohnte. Und wie der Zufall so wollte hatte er geplant, zwei Wochen später nach Montpeyroux zu ziehen, wo er bereits eine neue Wohnung angemietet hatte. Als ob der Wein uns geschickt wurde! Vincent meinte, "dann besuch mich doch dort und Du kannst den Winzer kennenlernen." Das war für mich der erste Zauber mit Naturwein.
Sechs Monate später bin ich nach Lyon gezogen und davor nach Montpeyroux gefahren, im April 2014. Und da war zufällig an diesem Wochenende das Weinfest des Dorfes, wo alle Winzer ihre Weine vorstellen. Ich bin also zu Ivo gegangen und habe ihm gesagt, dass ich gerne für ihn arbeiten möchte. “Ich bin arbeitslos, was kann ich für Dich tun?” “Komm doch für die Weinlese, dann siehst Du, ob es Dir gefällt.”, sagte er. Zurück in Lyon nahm mich mein Cousin mit in eine Weinbar, wo zwei super coole Sommelierinnen eine Pop up Bar machten. Wir blieben den ganzen Abend und als ich erwähnte, dass ich mich im Naturwein orientieren möchte, erzählten sie, dass sie auch Quereinsteigerinnen waren, und sie hätten in Suze-la-Rousse an der Université du Vin eine Ausbildung zum Einstieg gemacht.
Somit habe ich mich für eine allgemeine önologische Ausbildung an der Université du Vin beworben. Um der nötigen Vorerfahrung gerecht zu werden, half ich bei Weinlesen mit und half bei der Weinbar Le Vin des Vivants aus, damals das Mekka von Naturwein in Lyon, um zu gewährleisten, dass meine Bewerbung in Betracht gezogen wird. Zu der Zeit gab es schon die ganzen bekannten Naturweinmessen in Lyon, Sous les pavés la vigne, Les Débouchées. Dort habe ich angefangen, die Winzer*innen anzusprechen und Fragen zu stellen. Im März 2015 hat die Schule begonnen, vier Monate Theorie und einen Monat Praktikum. Ich war zwei Wochen bei Philippe Jambon im Weinberg, so richtig Pflugarbeit, Rasen mähen, schneiden. Den anderen Teil meines Praktikums half ich bei der Organisation einer Weinmesse mit, tolle Winzer*innnen waren eingeladen, wie zum Beispiel Kenjiro Kagami. Doch im Studium ging es sehr konservativ und klassisch zu und wir haben die furchtbarsten Weine probiert. Es war wie ein neues Abitur mit dem ganzen Lernstoff, lange Kurstage, Lernen von Morgens bis Abends. Am Wochenende bin ich immer geflüchtet, um die Winzer*innen aus der Region oder im Ardèche zu besuchen, Daniel Sage, Mylène Bru und so weiter. Die Rettung nach den schlechten Verkostungen von den caves coopératives, am Wochenende konnte ich dann die gesammelten Kenntnisse auf den Naturwein anwenden. In der Diplomarbeit habe ich meine Projektidee ausgearbeitet, ein Ort mit Naturweinverkostungen und Musik in Berlin..
Mein erster Job mit dem Diplom in der Tasche war bei einem Bio Weinkeller in Lyon und wieder im Le Vin des Vivants, aber ich wollte noch etwas mehr erleben, noch einmal ins Ausland, am liebsten nach Bristol oder Zürich und irgendwo mein Naturwein-Musiklokal auf die Beine stellen. Ich habe mir die Szenen angeschaut und bin dann im Sommer doch wieder nach Berlin gekommen, wo ich bezüglich Naturwein bereits Maxime Boillat und Holger Schwarz kannte, dann habe ich auch euch kennengelernt, bei euren ersten Monaten im jaja. An einem Abend hat mir Nicolas Drouhin seinen Job bei MAXIM angeboten, den er gerade aufgeben wollte. Es schien so, als würde mein Berufsleben immer von anderen entschieden, ich nehme gerne an, was mir entgegenkommt. Ich wollte also im MAXIM arbeiten, damals die erste Bar, die in Berlin Naturwein angeboten hatte, letztendlich hat es aber nicht geklappt, Maxim musste Insolvenz beantragen. Auf einer Messe habe ich Sébastien Visentin von Passion Vin kennengelernt, mich bei ihm beworben und bin zwei Jahre dort geblieben. Er war Naturweinen gegenüber weniger offen, das fehlte mir etwas bei der Arbeit, da habe ich mit Pierre Lejeune von La Malo das Weinfestival Naturtrüb ins Leben gerufen. Das hat mich letztendlich meinen Job gekostet. Aber es war alles, was mir Spaß machte, Events organisieren, die Winzer*innen, die ich mochte, einladen. Das war ein phantastisches Abenteuer, vom ersten Tag bis zur Verwirklichung des Festivals. Alles ging auf. Finanziell war es riskant aber letztendlich gesund und alle waren von der Veranstaltung begeistert. Die Planung des zweiten Festivals war chaotischer und leider das vorzeitige Ende des Projekts.
Aber es ist klar, dass sich eine Naturweinszene in Berlin entwickelt und ich will dabei helfen, wo ich kann. Wobei ich zurück zu meiner ersten Motivation komme, dem Vermitteln. Ich habe in diesem Beruf meinen Sinn gefunden, indem ich den Leuten diese Weine vorstelle, ihnen näherbringe, wie sie sind und warum sie so gemacht werden. Es ist mir wichtig, dass die Leute wissen, was sie trinken und klar dürfen sie meinetwegen dann weiter schlechten Wein trinken, aber sie sollten ein schlechtes Gewissen sprechen lassen, dass sie sich und ihrer Umwelt nicht gut tun, mit diesen Produkten. Persönlich hat mir der Naturwein einen derartigen Lebenswechsel gebracht, dass es für mich nicht mehr in Frage kommt, etwas anderes zu trinken. Auch wenn es oft passiert, dass mir anderer Wein angeboten wird, aber dann trinke ich lieber Wasser. Ich bin also von den Konvertierten eher am radikalen Ende.
Was mir am meisten Spass macht, etwas, dass ich bei Passion Vin angefangen und entwickelt habe, sind die Tastings, Weinseminare und Schulungen. Bei Sébastien habe ich viele Schulungen für Restaurants gemacht, Wissen vermittelt, das die Teilnehmer ihrerseits an die Kunden weitergeben können. Das ist es, was mich in diesem Beruf am glücklichsten macht, neben dem Umgang mit den Winzer*innen und den zwischenmenschlichen Beziehungen. Sobald ich damals Fuß gefasst hatte, bei Ivo, wollte ich vor allem mit diesen Leuten unterwegs sein. So ein bisschen Popkultur, Fans, Sammlertum, gehört bei mir auch mit dazu, wenn man immer alle Alben von der Lieblingsband hören oder alle Bücher von Lieblingsautor*innen lesen möchte, so wollte ich auch alle Weine von meinen Lieblingswinzer*innen probieren, denn es sind Teil eines Werks und es wäre schade, etwas davon zu verpassen. Da gibt es für mich viele Parallelen, zwischen Wein und Musik. Diese Aufregung, Emotion, die Vorfreude, ob du zu einem Konzert gehst oder zu einer Weinmesse, ist die gleiche. Du weißt, es wird dort bestimmte Winzer*innen geben, deren neue Weine werden gezeigt und du kannst eine Weile mit ihnen quatschen, vom vergangenen Jahr im Weinberg erfahren, über den Jahrgang. Diese Bereicherung, die du mitnimmst und die du wiederum an die Kunden weitergibst, damit lässt sich die Flasche lebendig machen, weil du die Urheber*innen getroffen hast und sie dir etwas mit auf den Weg gegeben haben. Das ersetzt jede technische Weinbeschreibung oder Kritik. Wenn du die Möglichkeit hast, sie auf ihrem Weingut zu besuchen, ist es noch besser. Es ist wunderbar, unentwegt neue Sachen dazu zu lernen, immer wieder aus anderer Perspektive. Der Beruf vom Weinberaten ist etwas, bei dem es sich nicht auslernt.
Heute ist ein gutes Beispiel dafür, denn ich habe große Vorurteile gegenüber Cavarodes gehabt und deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass mir das Tasting angeboten wurde, denn ich möchte weiter probieren und verstehen, warum alle von seinen Weinen schwärmen und ich bei Verkostungen der einzige zu sein schien, den etwas an seinen Weinen störte. Heute also ein Beweis, dass sich immer wieder etwas dazulernen lässt. Ihr habt vielleicht dieses Mal nicht gefunden, was euch üblich an den Weinen so fasziniert, aber mich nimmt er heute endlich mit, es ist ein Genuss. Auf einmal findet sich mein Geschmack in diesen Weinen und kann sich mit der stetigen Ansammlung von Eindrücken weiterentwickeln. Hou, ich erzähl viel... (lacht)
Return: Das ist gut, das nimmt ein paar Fragen vorweg. Wie Du zum Naturwein kamst ..
Am Anfang waren es eher die “Basis Naturweine”, leicht zugängliche Weine, wie von La Roche Buissière, zum Beispiel, Pithon-Paillé, Landron, die Klassiker. Später wurde mir der Unterschied klar, zu den Weinen, die Vincent mir immer auf den Tisch gestellt hat. Damals konnte ich das nicht erkennen, weil ich diesen Klick noch nicht hatte. Oder ich habe sie nicht verstanden, weil es geblizzelt hat, oder ich wollte mich nicht darauf einlassen. Daran denke ich immer, wenn jemand neu zu meinem Stand kommt und ich weiss, dass der Wein diese Besonderheit hat, dann kann ich erklären, warum das so ist, damit erst gar nicht diese Verwirrtheit aufkommt und es sich gleich auf den Geschmack konzentrieren lässt.
Return: Du hast also mit Rioja angefangen?
Ja wirklich, Rioja Crianza! ich habe tatsächlich nur spanischen Wein getrunken, weil es mich an eine Reise nach Andalusien erinnerte. Bei meinen Eltern gab's Wein nur zu großen Gelegenheiten. Als sie in den 90ern nach Tours gezogen sind, haben sie dann angefangen, die Loire Weine zu entdecken. Heute ist das schön, weil wir uns richtig austauschen können, sie trinken nur noch Biowein, also nicht unbedingt Natur, aber sind aufgeschlossen und es ist etwas, dass uns verbindet.
Return: Wann kam das Gefühl, dass Du selbstbewusst mit Wein arbeitest?
Vor allem bei meinem Job im Le Vin des Vivants hat es sich richtig angefühlt. Dort wo sich immer alle Winzer trafen, wenn sie in Lyon waren, ewige Nächte hinter geschlossenen Vorhängen. Der Besitzer konnte nicht viel bezahlen, aber er sagte, "komm, Du wirst mein erster Angestellter und wir werden viel Spass haben." Und er hat sein Versprechen gehalten, es waren die sechs wildesten Monate meines Lebens. Die meisten Weine, die ich heute gut kenne, habe ich dort entdeckt und in großen Mengen getrunken.
Return: Welcher Wein oder Winzer*inn hat Dich in Deinem Werdegang bisher besonders beeindruckt?
Nyctalopie von Daniel Sage, Pinot Noir - Gamay, den hab ich also in der Weinbar in Lyon entdeckt, weil Daniel oft dort war und wir viele Flaschen von ihm aufgemacht haben, viel damit gefeiert haben. Ich verbinde sehr schöne Momente mit diesem Wein, er hat mich sofort bewegt, so ein ganz leichter, feinwürziger, sanfter Wein, wie eine Umarmung oder ein Kuss.
Und Winzer*innen, wie gesagt, ich bin wegen ihnen zu meinem Beruf gekommen, aber wenn ich eine Figur nennen soll, dann ist es Franco Terpin, denn das war eine besonders beeindruckende Begegnung. Ich habe seine Weine im Briefmarken Weine entdeckt, sie waren überwältigend. Später habe ich Jacopo Stigliano kennengelernt, der ein Freund von ihm ist und einen Kontakt herstellen konnte. Aber bis er am ersten Naturtrüb Salon teilnahm, hatte ich ihn nicht persönlich getroffen. Ich war so aufgeregt, ihn kennenzulernen. Er kam damals mit Jacopo nach Berlin, der nun unter dem Namen Buriana Weine macht, und Ernesto Cattel von Costadila. „Molto piacere, Molto piacere!“ - ich kann kein italienisch und hab nur irgendwas gerufen, um ihm zu sagen, dass ich mich so sehr über seinen Besuch freue. Letztes Jahr sind wir mit dem Rocket Wein Team zu ihm gefahren, ins Friuli, das war ein Traum. Wir haben dort eine unvergessliche Zeit verbracht. Wenn man sieht, was er als Winzer allein bearbeitet, diese riesigen Weinberge, mit diesen riesigen Händen, dreimal so groß, seine Finger sind wie Stäbe! Dann probierten wir die extrem feinen Weine direkt aus den Fässern, sie reifen 3 Jahre im Keller - ein Jahr im Fass, 1 Jahr im Tank, 1 Jahr in der Flasche. Und alles ist unglaublich lecker und komplex, der Frühwein schmeckt schon so vielversprechend. Ich wusste zwar, dass er im Keller nicht viel eingreift, aber ich fragte ihn, wie oft er seine Weine zur Kontrolle probiert. "Ja, jetzt mit Euch.", antwortete er. "Und wann war das letzte mal?", hakte ich nach, "och, ungefähr vor einem Jahr." Er probiert die Weine nur einmal pro Jahr, im Prozess, er hat ein unerschütterliches Vertrauen, denn er weiß, was er im Weinberg gemacht hat und was daraus resultieren wird. Also hier sind wir nahe dran, am “der Wein macht sich von selbst”. Franco vergisst einfach seinen Keller, kümmert sich um seine Schweinemetzgerei und arbeitet jeden Tag in seinen versteckten slowenischen Weinbergen, von denen er die Trauben nach Italien schmuggelt. Eine beeindruckende Persönlichkeit. Ich möchte auch Jean-Pierre Robinot und Daniel Sage erwähnen, vom sozialen, als auch als Winzer, aber Franco ist für mich so eine Art Ikone. Ich könnte wirklich sein Groupie sein!
Return: Wie steht es momentan um Deine Projekte oder Pläne?
Ich bin ein bisschen frustriert, weil ich aufgrund der Lage keine Verkostungen und Seminare organisieren kann. Also nutze ich die Zeit für andere Projekte, gerade schreibe ich wieder für eine Sängerin, Pauline Dupuis, wir arbeiten schon seit vier Jahren zusammen, sie komponiert und interpretiert meine Texte. Dabei kam mir die Idee, ein Album zu schreiben, in dem jeder Titel einem Wein gewidmet ist, der mich beeindruckt hat. Der Text wird nicht unbedingt über den Wein erzählen, es ist nur eine Anspielung. Das gesamte Projekt wird eine Widmung an Weine und die poetischen Eindrücke oder Geschichten, zu denen sie mich inspiriert haben. Autobiografisch, als auch Fiktion.
Ich will die freie Zeit möglichst zum Schreiben nutzen, aber es ist schwierig, mich zu disziplinieren.
Und beruflich, sobald wir wieder normal öffnen können, wird Drunk by Nature Euch die ganze Woche willkommen heißen!
Return: Kannst Du noch etwas zu Naturwein in Berlin sagen?
Ich habe hier viel mit Leuten zu tun, die nicht aus Berlin kommen, Touristen, die Interesse an Naturwein haben. Dafür seltener Kollegen aus der Gastronomie oder dem Handel, das ist kein Vergleich zu meinen Erfahrungen in Frankreich. Letztlich bin ich sehr pessimistisch geworden, was die Berliner Gastronomie angeht, für das nach der Krise. Ich dachte, wir hätten schon alle Pleiten durchlebt, in den Anfängen der Naturweinszene in Berlin und mir kommen Bedenken, dass wir jetzt wieder in ein Nichts geraten, wo es zwar vereinzelte Initiativen gibt, aber auch viele verzweifelte andere, die gescheitert sind. Ich hoffe, dass ich mich irre und die, die da sind, diesen Moment überleben werden. Und ich wünsche mir, dass die neuen Akteure im Sinne des Weins arbeiten werden und nicht im Sinne der Mode. In den letzten Monaten, zeichnete sich bei den Neueröffnungen ab, dass Naturwein als cooles Produkt gehandelt wird, so wie Turnschuhe, ohne den Anschein zu geben, eine Ahnung von der eigentlichen Dimension dieses außergewöhnlichen Genussmittels zu haben. Die Motivation und Überzeugung seiner Herstellung und allem, was damit in Verbindung steht. Einerseits ist es cool, Naturwein in einem coolen Umfeld zu entdecken, aber die Reflektion über die Beziehung zu Winzer*innen, dem Umgang mit der Natur und allem, was das bedeutet, fehlt und das ist auf lange Sicht gedacht uncool. Es ist etwas, was unsere Arbeit ausmacht, das beinhaltet auch das rechtfertigen des Kostenpunktes dieser Weine, was die Kunden nicht immer sofort verstehen.
Mir liegt es wirklich am Herzen weiter auszubauen, wie sich diese Welt des Naturweins vermitteln lässt. Von den Tastings, die ich in Berlin erlebt habe, oder dem, was sich in den sozialen Netzwerken abspielt, lässt sich schließen, dass es an teilweise an Professionalismus oder Sachlichkeit im Umgang mit den Weinen fehlt. Das soll sich nicht so anhören, als würde ich mich darüber emporheben wollen, dennoch denke ich, dass diese schöne Dynamik der ersten Welle, der Wine Rush Connection, oder erprobte Distributoren, wie Viniculture oder Suff, inhaltlicher arbeiten. Es gibt viel Amateurismus in der aktuellen Welle und ich glaube nicht, dass es der Szene auf lange Sicht dienlich ist. Oft merke ich es an der Reaktion der Kunden, es bestätigt tatsächlich manchmal dieses Hipsterklischee, „I want Orange Wine, something funky!“ Das höre ich mehrmals am Tag, dabei muss doch erstmal geklärt werden, was Orangewein eigentlich ist. Man muss hier in Berlin noch viel Grundarbeit leisten, bevor es zu diesem möglichen spannenden Austausch zwischen Kund*innen und Anbieter*innen kommt. Es ist schade, wenn das von anderen Kolleg*innen nicht geleistet wird, bei denen die Verkaufsargumente sehr basic bleiben, hey, hey, crazy, funky, cool!
Meine Sorge dabei ist, dass es hier um ein ganz besonderes Produkt geht, mit einer sehr kleinen Produktion, die in der stetig wachsenden globalen Naturweinwelt aufgeteilt wird und jeder kleine Importeur bekommt nach und nach weniger Quantitäten, weil wir das mit allen Ländern teilen müssen, was gut ist, aber wenn die Leute den Wein dann einfach als ein Modeprodukt wahrnehmen, ohne die Philosophie dahinter sehen zu können, um sie zu respektieren, einfach so aus der Flasche im Park...ja, natürlich auch schön das mal zu machen, wenn es sich finanziell leisten lässt, aber letztendlich verkaufe ich lieber nur eine Flasche an jene, der wirklich Neugierde zeigen, als fünf Flaschen an jene, die das lauwarm im Park saufen oder unter Einfluß einer anderen Substanz. Ich glaube, das ist in Berlin eine tonangebende Besonderheit, die Berliner Szene geht in die Richtung und die Gastronomie und der Handel antworten eben irgendwie darauf. Besonders, weil es diese gleiche soziale Gruppe ist, Clubkultur, Expats, das sind unsere ersten Kunden. Dabei ist es so wichtig, das Hintergrundwissen zu vermitteln und die Idee, damit sich die Leute nochmal ganz anders auf die Weine einlassen können, um das fragile Gleichgewicht dieser freien Szene nicht irgendwann zu kippen. Zu zeigen, dass es ein wertvolles Gut ist, das sich schätzen lässt.
Es geht halt nicht darum, sich zu jedem Frühstück Pet'Nat' zu gönnen, denn irgendwann gibt's keinen Pet'Nat' mehr. Gerade merkst du das bei einem Winzer wie Preisinger, der total gehypt ist, die Leute, die sich kaum mit Wein auseinandersetzen, erkennen sein Label von Weitem und kaufen das blind, verstehen aber nicht, warum zwei Wochen später der Wein ausverkauft ist. Ich merke, dass die Reflexion, wie dieser Wein gemacht wird, fehlt. Ich kann das nicht kritisieren, weil ich genauso unwissend war, bevor ich mich für Wein interessiert habe, ich habe mich selber erst mit fast vierzig gefragt, wie Wein überhaupt hergestellt wird. Aber es ist Fakt, dass Leute, die diese Weine kaufen, nicht die Logik dahinter kennen, wenn sie nicht darüber informiert werden und es wird sich vielleicht so verhalten, dass sie im Sinne des Konsumkapitalismus reagieren, also eher den Bedarf eines Produkt Fetisches decken möchte, als wirklich Wein zu trinken. Und wenn Händler*innen die gewünschte Flasche nicht führen, gehen sie vielleicht davon aus, dass es sich um schlechte Händler*innen handelt, wobei sie ignorieren, dass der Wein eventuell in dem Jahr gar nicht produziert wurde, weil es Frost oder Hagel gab. Oder er eben einfach zu gehypt und ausverkauft wurde. Das ist eine Herausforderung für diesen Beruf in Berlin.
Ein Ziel ist es, dass mehr Leute diversere Naturweine trinken und sie bewusst genießen. Manchmal ist es schade, dass die Flasche in 10 Minuten leer ist, wobei sie oft erst nach zwei Stunden interessant wird. Cornelissen, zum Beispiel, nach zwei Stunden hat sich der Wein zu einem ganz anderen entwickelt und nach weiteren drei Stunden erneut, der Wein bietet eine Reise an, die noch so viel mehr bietet, als den ersten Kick. Das wird dann vielleicht auch dem Preis gerechter, in diesem Extremfall, aber es lässt sich auch auf viele Weine, anwenden, die nur 20€ kosten, das mit der Reise. Den Wein durch seine Entwicklung erleben zu können, ist das spannende an diesen lebendigen Weinen. Für manche Zwecke lässt sich konventioneller Wein dann doch einfacher trinken, denn der wird darauf getrimmt immer gleich zu schmecken. Was Naturweine besonders macht, ist, das sie lebendig sind und das sie uns jeden Moment etwas anderes zeigen können. Wenn ich also etwas dazu beitragen kann, dass die Leute reflektierter mit dem Thema umgehen, dann verkaufe ich auch gerne mehr.
Return: Was bekommst Du zurück, wenn Du so viel vermittelst?
Als ich damals Surk-ki Schrade von der Vincaillerie, dem ersten Naturweinladen Deutschlands, interviewt habe, meinte sie zu mir, 70% von ihrer Arbeit ist Pädagogik, und alles immer wieder aufs Neue zu erklären, auch anhand von Skizzen und Bildmaterial, weil der Standardkunde, der vorbeikommt, vorerst nicht versteht, dass der Wein dreimal soviel wie im Supermarkt kostet, was leider erstmal die größte Hürde darstellt. Und das ist etwas anstrengendes, was Dich manchmal verzweifeln lässt, wenn es zwanzig mal am Tag wiederholt werden muss. Ich habe aber auch positive Erfahrungen damit gehabt, durch die mir bewußt wurde, dass meine eigenen Vorurteile mich täuschen können. Wenn wir uns im Verkauf gegenüberstehen, und es beginnt mit, “Was ist das überhaupt, Naturwein? Biowein?”, damit fängt eine Kundenbeziehung an und wenn uns gelingt, geduldig zu erklären, was Naturwein ist, wird die Flasche immer verkauft werden, das Interesse ist geweckt, auch wenn es vorher preislich abgelehnt wurde, und damit haben wir einen super Kontakt hergestellt, wir freuen uns beide und bedanken uns und es gibt das schöne Gefühl, jemanden für das Thema empfänglich gemacht zu haben. Das ist der Beruf, (lacht) und ich bin in dem Segment so ein proselytischer Zeuge Jehovas des Naturweins! Wissen wird geteilt, denn Geschmack braucht nur Motivation, um sich zu entfalten. Da wir alle ein Leben vor dem Naturwein hatten, ist klar, das ist etwas, das sich auch spät entdecken und lernen lässt. Dadurch, dass es so eine Vielfalt an Richtungen, Geschmack und Emotionen anbietet, sind die Chancen groß, Begeisterung zu finden. Ich habe das an jedem Ort erlebt, an dem ich gearbeitet habe, dass die Leute wiederkommen und sagen, ah, jetzt trinke ich nur noch Naturwein, ich kann nicht mehr zurück. Eine Erfahrung, die ich auch selber gemacht habe. Es kann alle überraschen und mitnehmen, egal welches Alter, Status oder Vorgeschichte. Zum Beispiel gibt es da einen Kunden mit sehr kleinem Budget, dennoch kommt er jeden Monat, um eine schöne Flasche zu kaufen, obwohl er sich dafür drei Flaschen im Supermarkt gönnen könnte. Aber es geht nicht nur um Trinken, es geht um einen Moment des Glücks. Was gibt es schöneres, als Glück zu verkaufen?
Return: Welche musikalische Empfehlung würdest Du zu den heute verkosteten Weinen geben?
Ich habe “dreckigere”, wildere Weine erwartet, also hätte ich an Grunge gedacht. Heute finde ich, dass alle Weine, die wir probiert haben, etwas ähnliches innehaben, etwas samtiges, seidiges, gemütliches, eine Musik mit rebound, etwas grooviges, Trip Hop, eindringlich und gleichzeitig... ich weiß nicht, so etwas wie Massive Attack oder Morcheeba, jazzy. Es ist so weich, dass man sich hineinlegen möchte, sich darin einkuscheln, wie in einer flauschigen Decke. Mit sanftem Bass und einer sanften Stimme, die das Ohr umschmeichelt. Der Vin de Pays Rouge umschmeichelt den Gaumen genau so.
Drunk by Nature Eisenbahnstr. 42/43 in Berlin-Kreuzberg